Das fehlende
Glied (Ausschnitte)
Ich bin das
Leben. Ich bin das italische Erdbeben in glatten Wogen. Das Fleisch
in mir blutet als zwei erschossene Pferde, wenn ihm einmal danach
sein sollte.
Ich versichere allen Ignoranten, dass ich mich damit bereits mehr
als hinreichend beschrieben habe, und Zweifel daran einer Anmaßung
gleich kämen.
Zugegebenermaßen schwieriger gestaltet es sich für mich, mit
wenigen Worten etwas über meine Herrin zu sagen. Dies ist zu einem
guten Teil dem Umstand zuzuschreiben, dass mich der Büstenhalter
hemmte, einen klaren Blick auf meine Umwelt zu gewinnen. Der nackte
Kopf meiner Herrin ragte im Regelfall aus anderen Dingen hervor.
Ihre weißen Beine waren, mir nicht unähnlich, eingeschnürt, und
selbst ihre Schamhaare waren nur für das geübte Auge von außen zu
erblicken. Die Augen meiner Herrin waren im Übrigen vorhanden, auch
wenn ihre Erwähnung durch die Hervorhebung des Kopfes nicht
notwendig zu sein scheint.
Dennoch meine ich, dass der Hinweis auf Augen als Spezifizierung
nicht gänzlich planlos ist. Schließlich müsste ich mir den
Vorwurf der Kleinbürgerlichkeit im Sinne Roland Barthes’ gefallen
lassen, würde ich davon ausgehen, dass einem Kopf per se Augen
innewohnen. Der denunzierende Kryptojesuit Barthes mag zwar tot
sein, aber seine Lügen, die mich als kleinbürgerlich aburteilen könnten,
leben in dunklen Stuben weiter.
Es ist keineswegs so, dass jede Lüge mein Missfallen erregen würde,
denn letztendlich bleibt die Lüge der einzig wirksame Impfstoff
gegen das Paradoxe. Auch Barthes’ Tod mache ich ihm nicht zum
Vorwurf, da der Tod, und unwesentlich ob der von Barthes oder einem
Höheren, da wir von ihm nur durch das Schicksal von Anderen wissen,
das Menschlichste überhaupt ist.
Meine Herrin arbeitete in einer Werbeagentur.
[...]
Meine Herrin sperrte den Haken der schweren Kette in die Öse. Sie
schloss den Welt-Raum unter der Klinke ab und drehte den Schlüssel,
bis ihre Finger nicht mehr konnten. Mit dem kleineren Schlüssel
verschloss sie leicht das zweite Schloss. Das goldene Plättchen des
Spähers verdeckte den kleinen gläsernen Kreis dahinter. Am Stuhl
im Bad waren das Hemd und alles Andere gerade eben, noch, als würden
sie nur tief ausatmen, in sich zusammengesunken. Das Wasser rauschte
als dicker Strahl. Der Einbruch war nach Hause gekommen, tief in den
Welt-Raum, als meine Herrin die Prothese abschälte. Das Ensemble
zweier unmenschlicher Brüste, diese tote, wehleidige Monströsität
und mein Intimfeind in den brutaleren Nächten, wollte gewaschen
werden von den Händen meiner Frau, losgelöst und entfernt von
ihrem flachen Brustkorb, den Blick frei gebend auf das Nichts, auf
zwei Brustwarzen, die eingetrocknet auf den Rippen klebten, zum
Einsturz gebracht. Der Welt-Raum möge über uns zusammenstürzen,
die Decke in geometrischen Figuren herab und über uns kommend. Wir
wollen von der Architektur umgeben sein, im Totenschlaf der Fühllosigkeit,
gebettet. Unsere Körper berührt, gedrückt zur Erdrückung von
schwerer Masse, gekalkt und barmherzig, das Unmenschliche als unsere
Rettung in einer abgewichenen Welt. Ich kenne die künftigen Anwürfe,
die meine Herrin als Folge meiner Offenheit belasten werden, aber
ich schäme mich nicht.
(c) 2006, Raimund Liebert
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